Huanako
Das Guanako (Lama guanicoe), auch Huanako genannt, ist eine wildlebende Art innerhalb der Familie der Kamele (Camelidae). Es lebt vor allem im westlichen und südlichen Südamerika und ist die Stammform des domestizierten Lamas.
Guanakos erreichen eine Kopfrumpflänge von 120 bis 220 Zentimetern, eine Schulterhöhe von 120 Zentimetern und ein Gewicht von 100 bis 120 Kilogramm. Das Fell ist wollig und dicht; seine Farbe ist oberseits hellbraun und unterseits weiß, das Gesicht ist oft schwarz gefärbt. Das Fell besteht aus kurzen, gekräuselten und langen, gewellten Haaren, die untere, verfilzte Schicht wirkt isolierend und schützt vor Kälte, die obere Schicht hält Schnee und Regen fern. Wie alle Kamele sind sie durch relativ langgestreckte, schlanke Beine, einen langen, dünnen Hals und einen kleinen Kopf charakterisiert. Die Füße haben zwei Zehen, die anstatt mit Hufen mit schwieligen Polstern versehen sind. Der Magen setzt sich wie bei allen Kamelen aus mehreren Kammern zusammen, was das Verdauen der Pflanzennahrung erleichtert.
Guanakos bewohnen die Anden in Peru, Ecuador, Bolivien, Chile und Argentinien sowie die Halbwüsten und Steppen Patagoniens. Ihr Habitat ist offenes Grasland, nur in harten Wintern gehen sie manchmal auch in Wälder. Man findet Guanakos in Höhen bis zu 4000 m.
Guanakos haben ein recht flexibles Sozialsystem, wobei die Populationen je nach Verfügbarkeit von Futter entweder wandern oder sedentär sind. Während der Paarungszeit sind sie in drei sozialen Einheiten anzutreffen: Familiengruppen, Gruppen von Männchen und Verbände von Männchen, die solitär leben. Jede Familie wird von einem erwachsenen Revier-Männchen angeführt und umfasst eine unterschiedliche Anzahl von jungen und erwachsenen Weibchen. Abgesehen von den Familiengruppen bilden die nicht brütenden, nicht territorialen erwachsenen und jugendlichen Männchen Gruppen von 3 bis 60 Männchen und gehen in separaten Männchengruppen auf Nahrungssuche. Die geschlechtsreifen Männchen, die zwar ein Revier, aber keine Weibchen haben, werden als Solitäre bezeichnet und können Verbände von etwa 3 Männchen bilden. Guanakos geben eine Reihe von Lauten von sich, um Informationen zu übermitteln und soziale Rollen auszuhandeln. Besonders erwähnenswert sind die Alarmrufe, mit denen die anderen Mitglieder der Gruppe vor potenziellen Prädatoren gewarnt werden, und die Klicklaute, die im Kampf zwischen den Männchen eingesetzt werden.
Guanakos sind wie alle Kamele Pflanzenfresser und ernähren sich vorwiegend von Gräsern. Die Nahrung wird wenig zerkaut verschluckt und gelangt zunächst in den Vormagen, um nach dem Wiederkäuen endgültig verdaut zu werden. Dieser Vorgang ähnelt dem der Wiederkäuer (Ruminantia) – zu denen die Kamele zoologisch allerdings nicht gerechnet werden. Das Verdauungssystem der Kamele dürfte sich unabhängig von dieser Tiergruppe entwickelt haben, was sich unter anderem darin zeigt, dass die Vormägen mit Drüsen versehen sind.
Die Tragzeit der Weibchen dauert ein Jahr. Hiernach wird ein einziges Junges geboren, das sofort laufen kann und etwa 4 bis 6 Monate gesäugt wird. Die Lebensdauer eines Guanakos kann in menschlicher Obhut zwanzig bis dreißig Jahre betragen.
In freier Wildbahn ist ihr Hauptfeind der Puma. Junge und kranke Guanakos können auch von Andenschakalen getötet werden.
Bei Ankunft der Spanier in Südamerika gab es schätzungsweise 50 Millionen wilde Guanakos. Seitdem wurden sie wegen ihres Fells gejagt (siehe dazu Guanakofell), vor allem aber, um Weideland für die Schafherden zu gewinnen. Durch massenhaften Abschuss wurden die Bestandszahlen immer kleiner. Heute gibt es noch etwa 600.000 Guanakos, das ist nur noch etwas mehr als ein Prozent der ursprünglichen Zahl. Die IUCN listet sie als „nicht gefährdet“.
Laut der Roten Liste der IUCN liegt die Gesamtpopulation des Guanakos zwischen 1.500.000-2.200.000 Individuen, wobei die geschätzte Zahl der erwachsenen Tiere zwischen 1.000.000-1.500.000 Individuen liegt. Die Populationszahlen dieser Art in bestimmten Regionen umfassen Peru: 3.000 Individuen; Bolivien: 150-200 Individuen; Paraguay: 20-100 Individuen; Chile: 270.000-299.000 Individuen; Argentinien: 1.225.000-1.890.000 Individuen. Derzeit wird der Guanako auf der Roten Liste der IUCN als nicht gefährdet (LC) eingestuft, und sein Bestand nimmt heute zu.
In seinem gesamten Verbreitungsgebiet spielt das Guanako eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Ökosystemfunktionen. Es verbreitet Samen mit seinem Kot, kontrolliert das Wachstum der Vegetation durch Verbiss und Weidegang und ist eine Nahrungsquelle für seine natürlichen Prädatoren.
Es wird allgemein angenommen, dass das Guanako bereits im dritten Jahrtausend vor Christus domestiziert wurde und dass das Lama von ihm abstammt. Neuere DNA-Untersuchungen haben ergeben, dass, anders als früher angenommen, das Alpaka wahrscheinlich nicht direkt vom Guanako abstammt, sondern vom Vikunja. Da aber alle Neuweltkamele untereinander kreuzbar sind und fertile Hybride gebären, sind diverse Einkreuzungen der beiden Wildformen sowohl bei Lama als auch bei Alpaka nicht auszuschließen.
Aufgrund der großen Überweidungsschäden, die Schaf- und Rinderherden in Patagonien angerichtet haben, werden auf einigen Estancias heute zur Fleischproduktion besser angepasste Guanakos gehalten.