Vietnamesischer maushirsch, Annam-kantschil
Der Vietnam-Kantschil (Tragulus versicolor), auch Vietnamesischer Maushirsch oder Annam-Kantschil genannt, ist eine Säugetierart aus der Familie der Hirschferkel (Tragulidae). Die Art kommt endemisch im zentralen und südlichen Vietnam vor. Es handelt sich um kleine Paarhufer mit gerundetem Rücken und schlanken Gliedmaßen sowie einer auffallenden Körperfärbung, die aus einer silbergrauen Schabracke und einem bräunlichen Schulter- sowie Nackenfell besteht. Über die Lebensweise der Tiere ist nichts bekannt. Allgemein gilt der Vietnam-Kantschil als selten. Die Art wurde im Jahr 1910 wissenschaftlich eingeführt, ein weiteres Individuum ist aus dem Jahr 1990 belegt. Die Art galt als verschollen – erst knapp dreißig Jahre später gelangen wieder Fotoaufnahmen der Tiere. Über den Bestand liegen keine Informationen vor.
Der Vietnam-Kantschil erreicht eine Kopf-Rumpf-Länge von rund 40 cm, eine Schwanzlänge von etwa 5 cm und ein Gewicht von gut 1,7 kg. Die Ohrlänge beträgt 3,5 cm, die Hinterfußlänge 11 cm. Die angegebenen Maße beziehen sich auf ein einzelnes Individuum vom Fluss Tra im zentralen Vietnam. Äußerlich ähnelt der Vietnam-Kantschil mit seiner geringen Körpergröße, dem gerundeten, nach hinten aufsteigenden Rücken und den langen und schlanken Gliedmaßen den anderen Hirschferkeln, Die Tiere weisen auf dem Rücken eine deutliche Schabracke auf. Das Fell ist hier silbergrau gefärbt und vergleichsweise dicht. Die einzelnen Haare haben weiße Spitzen. An den Schultern und am Hals zeigt sich das Fell deutlich bräunlich gefärbt. Es ist hier weniger dicht als am Rücken und auffallend grob, weist aber nicht den stacheligen Charakter wie beim Kleinkantschil (Tragulus kanchil) auf. Die dunklere Fellmusterung im Nacken, die häufig bei anderen Hirschferkeln auftritt, ist beim Vietnam-Kantschil nicht ausgebildet. Auf der Bauchseite dominiert eine weiße Behaarung, die sich scharf von den silbergrauen Seiten abhebt. Im Gegensatz zum Kleinkantschil wird der weiße Bauch nicht durch einen dunkleren Längsstreifen unterbrochen. Die weiße Fellfarbe setzt sich durchgehend bis zum Kinn fort. Im Bereich der Kehle fächert diese aber typisch für die Hirschferkel in mehrere Bänder auf. Einige Individuen des Vietnam-Kantschils besitzen hier eine Abfolge von drei weißen und zwei dunklen Streifen, was an den Java-Kantschil (Tragulus javanicus) erinnert. Andere wiederum haben die für den Großkantschil (Tragulus napu) typischen fünf weißen Streifen, die sich mit vier dunklen Streifen abwechseln. Am Kopf fehlen dem Vietnam-Kantschil die markanten dunklen Längsstreifen anderer Tragulus-Arten, die bei diesen von den Augen bis zur Nase laufen.
Der Schädel wird durchschnittlich 9,1 cm lang und an den Jochbögen 4,3 cm breit. Im Vergleich zu anderen Angehörigen der Gattung Tragulus ist er klein, aber deutlich breiter. Auffallend sind die aufgeblähten Paukenblasen, die je eine Länge von 1,8 cm und eine Breite von 0,9 cm aufweisen, und das lang ausgezogene Nasenbein. Der Unterkiefer misst etwa 7,6 cm in der Länge. Das Gebiss besteht aus 34 Zähnen mit folgender Zahnformel:. Die oberen Eckzähne sind wie bei allen Hirschferkeln dolchartig geformt und beim Vietnam-Kantschil groß ausgebildet.
Vietnam-Kantschile sind in Vietnam heimisch. Man findet sie in den halbtrockenen tropischen Wäldern sowie in trockenen Tieflandwäldern in der Nähe der Südküste des Landes.
Der Vietnam-Kantschil ist von zwei Regionen in Vietnam bekannt: einerseits aus dem Gebiet um Nha Trang im südlichen und aus der Umgebung des Flusses Tra nahe den Ortschaften Dak Rong und Buon Luoi im zentralen Teil des Landes. Beide Landschaftsräume sind mit laubwerfenden und immergrünen tropischen Regenwäldern bewachsen. Die Höhenlagen reichen vom Meeresspiegelniveau auf bis zu 500 m hinauf. Am Bo-Fluss tritt die Art gemeinsam mit dem Kleinkantschil auf. Über die Lebensweise liegen keine Informationen vor.
Wie andere Chevrotains sind sie wahrscheinlich Pflanzenfresser und ernähren sich von verschiedenen Arten von Pflanzen.
Chevrotianer bringen im Allgemeinen nur ein einziges Jungtier zur Welt. Die elterliche Fürsorge ist in der Regel relativ begrenzt. Die Jungtiere werden in der Regel im Alter von 3 Monaten entwöhnt und erreichen ihre Geschlechtsreife je nach Art zwischen 5 und 10 Monaten.
Informationen zur Größe der Population und der Gefährdung des Bestandes des Vietnam-Kantschils liegen nicht vor. Die Art war zuvor nur von rund einem halben Dutzend Individuen bekannt. Vier davon gehen auf die Sammlung Vassals im Jahr 1906 zurück, die aus der Umgebung von Nha Trang stammen. Ein weiteres Individuum erhielten Forscher einer vietnamesisch-russischen Expedition im Jahr 1990 von lokalen Jägern. Das Tier war in der Umgebung des Flusses Tra in der zentralvietnamesischen Provinz Gia Lai erlegt worden. Danach wurde der Vietnam-Kantschil für nahezu drei Jahrzehnte nicht gesichtet und galt als verschollen. Erst bei Forschungsarbeiten vietnamesischer Wissenschaftler zwischen den Jahren 2017 und 2018 konnte die Art durch Kamerafallen an mehreren Lokalitäten in der Umgebung von Nha Trang wieder belegt werden. Dabei gelangen über 2000 Fotos der Tiere. Die IUCN listet die Art aufgrund fehlender Informationen in der Kategorie „ungenügende Datengrundlage“ (data deficient). Als mögliche Gefährdung können die Abholzung der Regenwälder im bekannten Verbreitungsgebiet des Vietnam-Kantschils und höchstwahrscheinlich auch die Jagd angesehen werden. Prinzipiell ist eine genauere Untersuchung der Verbreitung und Lebensweise der Tiere notwendig.
Die Rote Liste der IUCN und andere Quellen liefern keine Angaben zur Gesamtpopulationsgröße des Vietnam-Kantschils. Derzeit wird diese Art auf der Roten Liste der IUCN als Unzureichende Datengrundlage (DD) eingestuft und ihre Zahl ist heute abnehmend.