Der Eskimo-Brachvogel (Numenius borealis) ist ein extrem seltener oder bereits ausgestorbener mittelgroßer Watvogel der Neuen Welt.
Ein ausgewachsener Eskimo-Brachvogel erreicht eine Länge von 29 bis 34 Zentimeter. Er hat dunkelgraue Beine und einen langen etwas nach unten gebogenen Schnabel. Die Oberseite ist braungesprenkelt und die Unterseite ist hellbraun. Im Flugbild sind zimtbraune Flügelstreifen zu erkennen. Er sieht dem Amerikanischen Regenbrachvogel (Numenius phaeopus hudsonicus) sehr ähnlich, ist jedoch kleiner. In der Feldbeobachtung, der einzig sicheren Weise, den Eskimo-Brachvogel von anderen Arten zu unterscheiden, ist die ungebänderte Unterseite zu sehen (Townsend 1933).
Der Eskimo-Brachvogel ist eng mit dem asiatischen Zwergbrachvogel (Numenius minutus) verwandt, ist jedoch etwas größer, hat längere Flügel, kürzere Beine und ist wärmer in seiner Geflügelfärbung als sein asiatischer Verwandter.
Der Eskimo-Brachvogel war ein Vogel der Neuen Welt. Mitglieder dieser Art brüteten in der Tundra des westlichen arktischen Kanadas und Alaskas.
Eskimo-Brachvögel zogen im Spätsommer in die Pampa Argentiniens und kehrten im Februar zurück. Früher waren sie sehr seltene Vagabunden in Westeuropa, aber in letzter Zeit gab es keine Nachweise mehr. In Großbritannien gibt es vier Nachweise, die alle aus dem neunzehnten Jahrhundert stammen.
Ein Vergleich der Daten und Zugmuster hat einige zu der Vermutung veranlasst, dass Eskimo-Brachvögel und Wanderregenpfeifer die Küstenvögel sind, die Christoph Kolumbus auf seiner ersten Reise nach 65 Tagen auf See und außer Sichtweite des Landes auf das nahe gelegene Land aufmerksam gemacht haben. In den 1800er Jahren folgten Millionen von Eskimo-Brachvögeln den Tierwanderungen vom heutigen Yukon und den Nordwest-Territorien. Sie flogen nach Osten entlang der Nordküste Kanadas und dann im Winter nach Süden über den Atlantischen Ozean nach Südamerika. Wenn sie nach Nordamerika zurückkehrten, flogen sie nach Norden über die Great Plains.
Der Eskimo-Brachvogel brütete in der Tundra im westlichen arktischen Kanada und in Alaska. Die Nester wurden im offenen Gelände auf dem Boden errichtet und waren schwierig zu finden. Eskimo-Brachvögel wanderten im Herbst mehrere tausend Kilometer bis nach Chile und Argentinien. Selbst im westlichen Europa sollen sie in früheren Zeiten als seltene Gäste gesichtet worden sein.
Die Nahrungsaufnahme erfolgte auf Sicht und durch Aufspüren mit dem Schnabel. Die Hauptnahrung des Eskimo-Brachvogels bestand aus Beeren und Insekten, auf den Wanderungen wurden aber auch Schnecken aufgenommen.
Ein Vergleich aller bekannten Daten und Wanderungsmuster legt den Schluss nahe, dass der Eskimo-Brachvogel und der Kleine Goldregenpfeifer (Pluvialis dominica) die wahrscheinlichsten Watvögel sind, die die Aufmerksamkeit von Christoph Kolumbus nach 65 Tagen auf See auf seiner ersten Reise erregt haben.
Im 19. Jahrhundert folgten Millionen von Eskimobrachvögeln den Wanderwegen vom Yukon-Territorium und Nordwest-Territorium, nach Osten entlang der nördlichen Küste von Kanada und dann nach Süden über den Atlantischen Ozean in die Winterquartiere in Südamerika. Auf ihrer Rückkehr nach Nordamerika flogen sie nördlich über die Great Plains. (Kaufman, 1996)
Eskimo-Brachvögel nahmen ihre Nahrung mit den Augen auf, aber auch durch Sondieren. Auf der Tierwanderung im Herbst in Kanada ernährten sie sich hauptsächlich von Beeren. Während der restlichen Zeit der Tierwanderung und in den Brutgebieten ernährten sie sich von Insekten. Auch Schnecken und andere wirbellose Tiere gehörten während der Tierwanderung zu ihrer Ernährung.
Der Eskimo-Brachvogel zählte einst zu den zahlreichsten Watvögeln Nordamerikas. Der Bestand soll in die Millionen gegangen sein. Die Wiesen, auf denen der Eskimo-Brachvogel früher seine Nahrung fand, wurden in Ackerbauflächen umgewandelt. Da der Eskimo-Brachvogel keine Scheu vor den Menschen kannte, fiel er in die Felder ein und wurde zum Schädling erklärt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden jährlich über zwei Millionen Vögel getötet.
Sein Nest wurde zuletzt 1865 gefunden. Den letzten bestätigten Nachweis durch einen Fotobeleg gab es 1962 auf Galveston Island, Texas und 1963 auf Barbados. 1981 soll es eine unbestätigte Sichtung von 23 Exemplaren in Texas gegeben haben und neuere unbestätigte Berichte liegen aus Texas, Kanada (1987) und Argentinien (1990) vor. Der letzte bestätigte Nachweis aus Argentinien stammt aus dem Jahre 1939.
Eine der wichtigsten Nahrungsquellen war die Felsengebirgsschrecke (Melanoplus spretus). Das Aussterben dieser Art gegen 1902 könnte ein Teilgrund für den Niedergang des Eskimobrachvogels gewesen sein. Die Lebensraumzerstörung in den Überwinterungsgebieten in der Pampa verhinderte ebenfalls eine Erholung der Bestände.
Diese Art genießt den vollen gesetzlichen Schutz in Argentinien, Kanada, den Vereinigten Staaten und in Mexiko. Die Jagd wurde 1916 unter Strafe gestellt.
Zwar kann angenommen werden, dass der Eskimo-Brachvogel ausgerottet ist, doch da noch eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass einige Exemplare überlebt haben, hat die IUCN die Art zur Vermeidung des Romeo-Irrtums als „möglicherweise ausgestorben“ eingestuft, führt sie also nicht in der Kategorie „ausgestorben“, sondern in der Kategorie „vom Aussterben bedroht“.